Ein Blick in die Zukunft des Immobilienmarkts

Livit NEST Haus

© Wojciech Zawarski

Interview mit Reto Largo, Empa, Geschäftsführer NEST

Herr Largo, für alle, die NEST noch nicht kennen: Was wird dort genau gemacht?

Wir sind das Innovationsgebäude der Forschungsinstitute Empa und Eawag. Im NEST wurde eine Umgebung geschaffen, um unter echten Bedingungen an Ideen zu forschen, die im freien Markt nicht so einfach getestet werden können. Wenn etwas nicht funktioniert, machen wir es einfach nochmals, was in einem realen Bauprojekt schon rein aus Kosten- und Zeitgründen nicht möglich ist. 

Wir haben modulare Bauplätze, in denen wir zum Beispiel Wohnungen und Büros bauen. Es kann hier an reellen Objekten ohne Risiko aufgezeigt werden, wie man besser und nachhaltiger bauen kann.

Was wird den Immobilienmarkt in den nächsten Jahren am meisten transformieren?

Es wird sicherlich geänderte Rahmenbedingungen geben, gesetzlich, gesellschaftlich, in Abhängigkeit der EU und besonders im Umgang mit Baumaterialien. Wir müssen enkeltauglich bauen – also so, dass wir künftige Generationen mit unserem Tun nicht belasten.

Für die nachhaltige Energiegewinnung haben wir bereits heute funktionierende Technologien. Wir brauchen lediglich noch Lösungen, um Überschussenergie für einen späteren Zeitpunkt zu speichern; etwa um Solarenergie vom Sommer im Winter nutzen zu können. Hier ist die Frage, wie wir das gesellschaftlich und kostentechnisch angehen. Wir müssen sicher noch viel forschen und optimieren.

Was die Gebäudeplanung und -optimierung in Zukunft erheblich verändern wird, ist die Nutzung von künstlicher Intelligenz (KI) und digitalen Daten. KI kann etwa zur Analyse von Verbrauchsmustern eingesetzt werden und automatisch die am besten geeigneten Einstellungen für Heizung und Gebäudetechnik vorschlagen.

Was auch immer mehr zu einem Thema werden wird, ist den Wasserkreislauf zu optimieren. Die Eawag separiert heute im NEST bereits die Abwasserströme und betrachtet diese als Ressource – zum Beispiel für Pflanzendünger aus Urin.

Und wir dürfen gespannt sein, wie wir mit den veränderten raumplanerischen Anforderungen umgehen werden. Wie kriegen wir weitere 1.8 Millionen Menschen in den nächsten Jahrzehnten in der Schweiz unter; inklusive Mobilität und Infrastruktur? Ich bin persönlich überzeugt, dass wir einen gesellschaftlichen Masterplan brauchen, wie und wo wir dieses Wachstum ermöglichen wollen, den wir heute noch nicht haben.

In der Unit HiLo («High Performance – Low Emissions») werden neue Möglichkeiten erforscht, mit wenig Material zu bauen. Der Bausektor ist heute in Bezug auf den Ressourcen- und Energieverbrauch sowie der wachsenden Bevölkerungszahl mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert. Diesen Herausforderungen stellen sich die Forschenden im HiLo mit angewandten Innovationen. Eine der grössten Innovationen ist das neuartige Betontragwerk, das 70% weniger Beton und 90% weniger Stahl benötigt. In dieser Unit wurden zudem neueste Heizungs-, Beschattungs- und Lüftungssysteme, Gebäudetechnik sowie der Einsatz von Sekundärmaterial im Beton oder in Akustikmaterialien erforscht.

Die Unit HiLo thront auf der obersten Plattform des Forschungs- und Innovationsgebäudes NEST auf dem Empa-Campus in Dübendorf, Schweiz. Foto: Roman Keller

Welche Ansätze sehen Sie für den Umgang mit diesen veränderten Anforderungen?

Auf weniger Quadratmetern pro Person zu leben und Rohstoffe sparsamer einzusetzen. Heute wirtschaften wir immer noch so, als wäre Material unendlich günstig und verfügbar. Das ist nicht mehr zeitgemäss, weshalb wir unsere Prozesse anpassen müssen. 

Wir haben noch viele Aufgaben vor uns, um Gebäude Netto Null bauen zu können. Es braucht optimierte Technologien im Bau- und Tragwerk. 

Ein sinnvoller Ansatz ist es sicher, Gesamtlösungen für Quartiere zu schaffen inkl. Mobilitätsnutzung und Speicherung der Überschussenergie. Die Immobilienbranche muss in grösserem Kontext denken und dezentrale Energiequartiere inklusive Mobilität in der Planung einbeziehen. 

Was ganz wichtig ist: Es gibt keine einfachen Antworten. Im Bausektor sind wir stark von den finanziellen Rahmenbedingungen abhängig und die Ausgangslage ist von Projekt zu Projekt verschieden. 

Was wird es nicht mehr geben?

Im positiven Szenario: 

  • Abfall, der nicht wiederverwertet wird
  • Energie, die nicht erneuerbar ist
  • Bauteile, die weggeworfen werden
  • Eigene Fahrzeuge, heute mehrheitlich Stehzeuge

Wir müssen Technologien schaffen, um eine hohe Lebensqualität in einer nachhaltigen Form sicherzustellen.

 
Erste drei Bilder: Innenansicht der Unit UMAR (hinter Sofa: Ansicht der Wand aus wiederverwerteten, technischen Materialien), © Zooey Braun, Stuttgart
 
Letztes Bild: In der Sprint-Unit erhielten sowohl ein Fertigparkett als auch ein Massivparkett ein zweites Leben. Das Fertigparkett wurde ausgeschnitten und in der Unit neu zusammengelegt. Das Massivparkett wurde geschliffen, geölt und anschliessend 1:1 verlegt. Foto: Martin Zeller

 

Kreislaufgerechtes Bauen ist ein effizienter Ansatz, um Ressourcen zu schonen und unseren CO2-Zielen entgegenzukommen. In den beiden NEST-Units «Urban Mining & Recycling» und «Sprint» wird die Wiederverwendung und Wiederverwertung von Materialien und ganzen Bauteilen erforscht. Das Prinzip «Design for Disassembly» verfolgt das Ziel, dass die verwendeten Ressourcen und modularen Teile nach einem Rückbau in den Stoffkreislauf zurückgegeben werden können. In der Wohnung «Urban Mining & Recycling» im NEST ist das bereits zu 96% der Fall. 

Für den initialen Bau werden diverse Abfallmaterialen genutzt, wie etwa alte Teppiche, Jeans, Tetra Pak oder Ausstattungselemente wie Türgriffe. Die Räume sehen übrigens sehr ästhetisch aus – so gar nicht nach Abfall. 

Wer wird von den Innovationen profitieren? 

Ich bin überzeugt, dass wir alle profitieren können und müssen. Im Baubereich können wir zusätzliche Services, Exporttechnologien und neue Business-Modelle entwickeln. Es wird viele Möglichkeiten für Job Enrichments geben. Sinnhaftigkeit im Job ist wichtig. Im Bausektor gibt es genug Potenzial, wie Mitarbeitende einen wertvollen Beitrag leisten können. 

Was ist wichtig, damit wir die Chancen nutzen können?

Wir brauchen einen vernünftigen CO2-Preis und einheitliche Anreiz-Systeme. Aktuell sind unsere Systeme gemäss einem linearen Ansatz optimiert und nicht zirkulär aufgesetzt. Wir müssen als Gesellschaft langfristig denken und im Immobilienkontext den ganzen Lebenszyklus betrachten. Das kreislauffähige Bauen schafft neben den vielen positiven Umwelt-Effekten unter anderem auch eine höhere Flexibilität und Investitionssicherheit. 

Weiter braucht es neue Zusammenarbeitsmodelle für Bauherren, Investoren und Unternehmen, mit einer vernünftigen Verteilung von Risiko und Gewinn. Eine frühzeitige Planung zahlt sich aus.  

Wir wissen nicht alles, aber wichtig ist, dass wir beginnen, zu handeln, auszuprobieren und aus Fehlern zu lernen. Jetzt beginnen, lernen und nicht auf die perfekte Lösung hoffen.

Das DFAB House ist das weltweit erste Haus, dass nicht nur digital geplant, sondern auch grösstenteils digital gebaut wurde – mit Robotern und 3D-Druckern. Die angewandten Bautechnologien sind Forschungsbestandteil der ETH Zürich in Zusammenarbeit mit Industriepartnern. 

Auch der Betrieb des DFAB House bedient sich neuster Technik. Zu dieser gehören unter anderem eine intelligente, mehrstufige Einbruchsicherung, automatisierte Beschattungsmöglichkeiten, die neueste Generation vernetzter Haushaltsgeräte sowie eine intelligente Energieverbrauchssteuerung.

Im Erdgeschoss des DFAB HOUSE säumen 15 individuelle, digital gefertigte Betonpfosten die Fassade. Die doppelt gekrümmte Mesh-Mould-Wand trägt die Last der Smart Slab-Decke. Foto: Roman Keller

Angenommen wir stehen morgen im Jahr 2070 auf, wie wohnen und arbeiten wir?

Mein Blick in die Glaskugel: 2070 sind wir bereits seit 20 Jahren in einer Welt, die komplett mit erneuerbaren Energien versorgt wird. CO2 aus der Luft wird in dafür konzipierten Materialen gebunden, Mobilität und andere Bereiche funktionieren als Sharing-Konzept, Baumaterialen werden gemietet, Räume sind kleiner und mehrseitig genutzt. Das übergeordnete System wird sich verändert haben. 

Was hätten Sie rückblickend nicht erwartet?

Ganz ehrlich: Das es so langsam vorwärts geht. Auf der anderen Seite freut es mich, dass ich immer wieder auf Menschen treffe, die die Energie haben, zu handeln, anzupacken und Ideen umzusetzen, die Impact haben. 

Haben Sie einen Tipp für die Akteure im Immobiliensektor?

Besuchen Sie uns im NEST und schauen Sie sich an, was sich in unserer Forschungsumgebung bewährt. Diskutieren, handeln, optimieren und übermorgen nochmals verbessern. Nur so kommen wir vorwärts. 

Herzlichen Dank für das Interview!

Ich bedanke mich auch und gratuliere Livit zum Jubiläum. 

Reto Largo studierte Informatik an der ETH Zürich und absolvierte ein Executive MBA-Studiengang an der Hochschule St. Gallen. Er verfügt über breite Erfahrung in der Technologieentwicklung und im Verkauf, hat eigene Firmen gegründet und grössere Organisationen und Grossprojekte im nationalen und internationalen Umfeld geleitet. Seit Juni 2014 ist Reto Largo als Geschäftsführer der Forschungs- und Innovationsplattform NEST an der Empa tätig.